ER WAR EINER DER GROSSEN DES ALPINEN SKI-RENNSPORTS. HEUTE FÄHRT MARCO BÜCHEL NICHT NUR AB – SONDERN LÄUFT AUCH GERNE NACH OBEN. WEIL ER IN DEN BERGEN ZUR RUHE FINDET. UND DABEI DAS HOCHGEFÜHL GENIESST, SICH DEN AUSBLICK AUCH WIRKLICH VERDIENT ZU HABEN.

 

Marco, mal angenommen deine Karriere wäre ein Bergpanorama. Welche Gipfel ragen heraus?

Für mich ragt da einiges heraus, das waren ja knapp 20 Jahre! Schöne Erinnerungen sind mein erstes Weltcup-Rennen in Garmisch, mein Sieg in Kitzbühel und mein dritter Rang am Lauberhorn zum Abschluss meiner Karriere. Für mich waren aber nicht nur die Erfolge wichtig, sondern auch gewisse Niederlagen. Sie waren von großer Bedeutung für die Bildung meiner Persönlichkeit.

Welche Niederlagen waren das?

Einmal die WM-Abfahrt 2007, wo ich auf dem Weg zu einer Medaille bin und mich auf die Seite lege. Das war meine härteste Niederlage, der Stachel saß tief. Zwei Jahre später dann die WM-Abfahrt in Val d’Isere, als ich in der Früh eine Panik-Attacke habe und mich nicht mehr bewegen kann, weil ich den Druck nicht ertrage. Den ganzen Tag zwang ich mich zum nächsten Schritt. Erst im Starthaus konnte ich den Schalter umlegen, ich funktionierte wieder und wurde sogar Vierter. Aber das war schon ein schwerer Tag für mich.

Woher war die Panik gekommen?

Aus dem Nichts! Ich bin aufgewacht und plötzlich war mir alles zu viel. Man nennt das wohl eine Leistungsdepression.

Hast du so eine Panik-Attacke noch einmal erlebt?

Nein. Vorher nicht und auch nicht später. Ich war damals schon 37 und wusste, dass meine Karriere sich dem Ende zuneigt. Dieses Erlebnis war wohl das Zeichen aufzuhören, was ich dann ein Jahr später getan habe.

 

»Ich bin ein Suchender nach Emotionen.«

Marco Büchel

 

Was hat dich zwei Jahrzehnte lang bestärkt, dein Leben dem Ski-Rennsport zu widmen?

Ich lebe von Emotionen, sie sind der Grund, warum ich das alles getan habe. Skifahren ist für mich der genialste Sport der Welt, der mich immer erfüllt hat. Aber in Wahrheit bin ich ein Suchender nach Emotionen, und diese 20 Saisonen, die ich im Ski-Weltcup erleben durfte, waren unglaublich reich an Emotionen. Es gab viele Momente, in denen ich mich selbst sehr intensiv gespürt habe, und dabei halte ich ein Glücksgefühl für ebenso wertvoll wie den Schmerz einer Niederlage.

Ist man nach der aktiven Karriere erst einmal auf emotionalem Entzug?

Davor hatte ich große Angst. Dass ich nichts mehr finden würde, was mich so sehr ausfüllt wie der Profisport. Nach meinem Rücktritt kam ich dann allerdings in eine Art Honeymoon-Phase. Wie in den Flitterwochen. Plötzlich ist alles gut! Ich muss nicht mehr trainieren. Kann morgens liegenbleiben. Muss nicht mehr frieren. Nicht mehr diszipliniert sein. Das war ein geiler Sommer. Dann aber kam die erste Weltcup-Abfahrt im TV, Lake Louise 2010. Ich saß vor dem Fernseher und habe geweint, weil ich wusste, dass ich das in dieser Intensität nie mehr erleben werde.

Und dann?

Musst du auf die Suche gehen, nach etwas, das dich von neuem erfüllt. Für mich ist es das Kommentieren im deutschen Fernsehen. Das ist nicht mehr so extrem, ich muss nicht mehr meine Gesundheit riskieren. Aber ich liebe es! Ich habe das Gefühl in meinem zweiten Leben angekommen zu sein. Und es hat nicht so lange gedauert, wie befürchtet.

 

 

In deiner Freizeit hast du dich dem Ausdauersport zugewandt. Wie kam es dazu?

Mein Trauzeuge ist passionierter Marathonläufer. Er hat mich überredet, obwohl ich wirklich keine Lust dazu hatte. Am Wochenende meines 40. Geburtstages fand zufällig der New York Marathon statt, das war eine schöne Gelegenheit, ein Häkchen dran zu machen. Also habe ich neun Monate trainiert, zehn Kilo abgenommen und bin zusammen mit meinem Trauzeugen und meiner Frau den Marathon gerannt. Die Emotionen im Ziel waren toll. Die nächsten fünf Tage bin ich gehumpelt, und eigentlich wollte ich das nie wieder tun. Aber nun bin ich schon fünfmal den Alpin-Marathon in Liechtenstein und zweimal den Jungfrau-Marathon gelaufen. Bei beiden sind jeweils rund 1.800 Höhenmeter zu absolvieren.

Macht ein Marathon in den Bergen mehr Spaß?

Mir schon! Ich bin ein Bergmensch. Und so ein Bergmarathon ist jedes Mal eine besondere Reise. Ich genieße die Vorbereitung, freue mich darüber, einen Plan zu haben, strukturiert zu sein, etwas für meine Gesundheit zu tun und am Ende das Ziel zu erreichen. Trailrunning ist wirklich ein neues Hobby von mir geworden.

 

 

Noch lieber bist du beim Skitourengehen. Wie oft bist du unterwegs?

So oft wie möglich. Wenn ich einen Tag frei habe, bin ich garantiert auf den Tourenski. An einem Skilift bin ich nur noch selten zu finden.

Was ist so schön am Tourengehen?

Hier draußen finde ich die Erholung, die ich benötige. Die Ruhe, die Stille, alleine am Berg. Es ist ähnlich wie beim Trailrunning. Mit dem Vorteil, dass man nicht nach unten läuft … sondern fährt. Darin gehe ich komplett auf. Inzwischen suche ich mir auch technisch schwerere Routen, im Frühling war ich auf dem Mont Blanc. So etwas mache ich allerdings nur in Begleitung eines Bergführers.

Warum fährst du nicht einfach mit der Gondel auf den Berg, um die Aussicht zu genießen?

Weil das Hochgehen die Quintessenz ist. Wenn ich auf einen Berg fahre, genieße ich die Aussicht, habe aber nach zehn Minuten genug davon. Wenn ich den Berg hochlaufe, ihn mir verdiene, dann kann ich oben sitzen und zwei Stunden lang das Panorama bestaunen, weil ich weiß, was ich dafür getan habe, dass ich hier oben sein darf.

 

»Man muss offen sein und zugreifen, wenn einem das Leben eine seiner vielen Gelegenheiten bietet.«

Marco Büchel

 

Der Bergmensch Marco Büchel war jahrelang aktiver B.A.S.E. Jumper. Warum hast du aufgehört?

Ich habe rund 300 Sprünge gemacht und den Schirm dann 2009 für immer eingepackt. Mein Bester Freund ist beim Springen ums Leben gekommen. Er war technisch deutlich versierter als ich. Das hat mir vor Augen geführt, dass es an der Zeit ist, damit aufzuhören.

Und womit möchtest du noch beginnen?

Das wird sich zeigen! Ich hätte niemals damit gerechnet, dass ich mal die Pressekonferenz zu Marcel Hirschers Rücktritt moderieren würde. Aber plötzlich kommt so eine Anfrage. Man muss offen sein. Und zugreifen, wenn einem das Leben eine seiner vielen Gelegenheiten bietet.

 

Interview by Axel Rabenstein, published in SPORTaktiv 12/2019

 

MARCO BÜCHEL WURDE AM 4. NOVEMBER 1971 IN WALENSTADT (SCHWEIZ) GEBOREN. IM JANUAR 1991 BESTRITT ER SEIN ERSTES SKIWELTCUP-RENNEN. BEI DER WM IN VAIL / BEAVER CREEK 1999 WURDE ER VIZE-WELTMEISTER IM RIESENSLALOM. SEINEN ERSTEN WELTCUP-SIEG FEIERTE ER 2003 BEIM SUPER-G IN GARMISCH. ZUDEM GEWANN ER DEN SUPER-G IN KITZBÜHEL (2008) SOWIE DIE ABFAHRTEN VON GRÖDEN UND LAKE LOUISE. MARCO „BÜXI“ BÜCHEL IST VERHEIRATET UND LEBT IN TRIESENBERG (LIECHTENSTEIN).

WWW.MARCO-BUECHEL.LI

 

Photos: Marco Büchel